HfH Studienreise 2017: Auf heilpädagogischer Erkundungsreise in Südindien
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«Wir wissen nicht, wie es klappt – aber es klappt.» Was das bedeutet und warum gerade diese beiläufig geäusserte Aussage unserer indischen Reisebegleiterin Anuja die Essenz unserer Studienreise nach Südindien so passend auf den Punkt bringt, das zeigt der subjektiv gefärbte Reisebericht. Am Donnerstag, 14.12.2017 zeigten Nives Milano und Prof. Dr. Barbara Forrer eine Auswahl von Fotos und berichteten über die Studienreise.
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Wer zum ersten Mal Indien besucht, kommt wahrscheinlich aus dem Staunen kaum heraus, denn Indien gibt es so eigentlich gar nicht. Indien ist ein eigener Kontinent, sagen auch die Inderinnen und Inder. Das Land besteht aus 29 Bundesstaaten, in denen 22 verschiedene Sprachen gesprochen und 15 ziemlich unterschiedliche Schriften geschrieben werden. Nur eine Sprache verbindet alle – und das ist nicht Hindi, wie man landläufig glaubt, sondern Englisch. Die meisten Menschen sprechen Englisch – für uns zwar nicht immer verständlich, aber wunderschön anzuhören in seiner Melodiosität. In praktisch allen Schulen wird Englisch unterrichtet – auch in Schulen für Kinder mit einer geistigen Behinderung – in Indien werden diese übrigens oft «mentally challenged children» genannt.
Unsere Reisegruppe – die Swiss Study Group mit der Reiseleitung von Silvia Meier und Vijayi Meier Singh war 15 Tage lang unterwegs in Südindien, von Mumbai über Kochi bis zu den Westghats, einem Gebirge in Südindien. 15 Tage sind lang und kurz zugleich. Jeder Tag dicht gefüllt mit Gerüchen, Geräuschen, Farben und Eindrücken. Und mit sehr sehr vielen Menschen – Indien hat mittlerweile 1.35 Milliarden Einwohner und die Bevölkerungsdichte gehört zur grössten der Welt. So leben in Mumbai bis zu 114'000 Menschen pro Quadratkilometer. Unvorstellbar für uns – und oft auch fast nicht zu ertragen.
In Indien sagt niemand ja oder nein, dafür wackeln alle freundlich mit dem Kopf – auf diese ganz spezielle indische Weise – und auch auf die Nachfrage hin, ob das jetzt eine Zustimmung oder Ablehnung gewesen sei, wackelt der Kopf munter weiter und der Mund lächelt dazu. Auch die Frage nach dem Weg stösst auf so viele unterschiedliche Antworten, wie Personen gefragt werden.
Indien fordert von den Besucherinnen und Besuchern Flexibilität – und bietet diese seinerseits auch. Das lernten wir schnell und übten wir häufig. So bedeuten Mails zur Bestätigung eines vereinbarten Besuchs in einer Schule in Indien noch lange nicht, dass dann auch Unterricht stattfindet. Im Gegenteil kann es durchaus sein, dass die Schulzimmer komplett leer sind, wenn die Gruppe kommt, weil kurzfristig Diwali-Ferien ausgerufen wurden. Dann wird einfach improvisiert, irgendwo findet sich immer ein Raum und Stühle gibt es auch und ein freundliches und herzliches Gespräch über Schule und Heilpädagogik zeigen sich letztendlich als wertvoll, wenn auch in anderer Form als ursprünglich geplant.
Oder es werden kurzerhand Mitarbeitende einer geschützten Werkstätte an einem Ferientag zur Arbeit aufgeboten, damit uns Besucherinnen und Besucher aus der weit entfernten Schweiz gezeigt werden kann, was und wie diese arbeiten. Für uns ein Ding der Unmöglichkeit – in Indien keine grosse Sache.
Sogar der Besuch einer anderen als der vereinbarten Schule ist in Indien problemlos möglich. Einmal stand unsere Gruppe von 21 Personen nämlich vor der falschen Schule – diejenige, mit der der Besuch vereinbart worden war, lag örtlich weiter weg – aber nach einem kurzen Gespräch mit der Schulleitung wurden wir freundlich eingeladen und durften sämtliche Klassen besuchen und mit den Kindern und Lehrpersonen sprechen.
Sehr beeindruckt hat mich persönlich auch der Besuch der ersten und grössten Frauenuniversität Südostasiens in Mumbai (SNDT Women´s University). Diese wurde im Jahr 1916 gegründet mit dem Ziel, Frauen den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen und sie dadurch selbständig und unabhängig zu machen. Aktuell studieren 70'000 Studentinnen an der SNDT in verschiedenen Studienbereichen. Angeboten werden nebst einer sehr breiten Studienpalette auch ein BA in Special Education, ein MA in Special Education und ein MA in Inclusive Education – hier also die Verbindung zur Heilpädagogik. Nebst den akademisch orientierten Kursen ist an der Abteilung Special Education auch das «Learning Centre of Special Education Arushi» angegliedert. In diesem werden Kinder mit verschiedenen Behinderungen (u.a. Autismus, geistige Behinderung, Lernschwierigkeiten) im Alter von 5 bis 18 Jahren unterrichtet. Die Studierenden der Studiengänge absolvieren ihre praktische Ausbildung in diesem Zentrum. So können sie Theorie und Praxis an einem Ort verbinden.
Diese gewollte Verschränkung von Ausbildung und praktischer Tätigkeit vor Ort haben wir auch bei weiteren Besuchen von Schulen und Institutionen erlebt. Einige Institutionen haben eigene Teacher-Trainings aufgebaut, um geeigneten Nachwuchs für ihre Schulen zu generieren. Die Nachfrage nach einem Ausbildungsplatz in Special Education scheint allerdings nicht riesig zu sein, was auch mit dem im Vergleich zu anderen Berufen niedrigen Lohn zusammenhängen könnte. So verdient beispielsweise eine Callcenter-Mitarbeiterin mehr als eine ausgebildete Lehrerin mit Fokus Special Education.
Was genau nun Indien alles in Sachen Heilpädagogik macht, können wir auch nach unseren Besuchen in verschiedensten Schulen, Institutionen, privaten und staatlichen Organisationen und Universitäten nicht abschliessend festhalten. Die besuchten Organisationen haben jedoch übereinstimmend die Wichtigkeit einer wertschätzenden Grundhaltung und einer sorgfältigen Beziehungsgestaltung betont und dass es letztendlich auf die Person der Heilpädagogin bzw. des Heilpädagogen ankommt. Und wir würden ergänzen: plus ein Grundvertrauen, dass es auch klappt, wenn es scheinbar nicht klappt – dann halt einfach anders.
Autorin: Barbara Forrer, Prof. Dr., Leiterin Zentrum Weiterbildung, HfH
HfHnews Dezember 2017
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Fakten
- Erscheinungsweise ca. sechs Mal jährlich
- Inhalt Hausmitteilungen der HfH
- Adressaten Mitarbeitende, Studierende, Hochschulrat und Interessierte
- Verantwortlich Prof. Dr. Barbara Fäh, Rektorin der HfH
- Redaktion Sabrina Demergi, MSc Sabine Hüttche