Abschiedsvorlesung: «Ausflüge in die Logopädie. Eine persönliche Zeitreise»
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Am 14. Juni nahm Prof. Dr. Jürgen Steiner die Gäste seiner Abschiedsvorlesung auf eine persönliche und fachliche Zeitreise mit. In dieser anerkannte er Wegbegleiter, ehrte oscarwürdige Therapieansätze und nannte Liegengebliebenes, das in Zukunft seiner Auffassung nach Umsetzung finden sollte.
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Die Rektorin Prof. Dr. Barbara Fäh begrüsste die Gäste vor Ort und die vielen Online-Teilnehmenden zur Abschiedsvorlesung «Ausflüge in die Logopädie. Eine persönliche Zeitreise». Sie dankte Jürgen Steiner für sein Engagement und sein «Feuer fürs Fachgebiet»: In 17 Jahren leitete und unterrichtete Jürgen Steiner etliche Module. Allein in 2021 waren es deren 14. Er prägte den Bachelorstudiengang Logopädie mit, festigte die Fachgebiete Demenz und Aphasie an der HfH und beteiligte sich nicht zuletzt an der Entwicklung des Masterstudiengangs Logopädie, der im September 2022 zum ersten Mal startet.
Dr. phil. Steff Aellig würdigte seinen Kollegen und wertschätzte unter anderem sein breites und tiefes Fachwissen, das in diverse Publikationen floss: In circa 150 Fachartikel, zwölf Buchbeiträge, darunter Lexika und Handbücher, neun Monografien und diverse Lehrmittel. Auch die klare, bildliche Sprache, die Jürgen Steiner wähle und seine gestellten Fachfragen, die die Praxis umtreiben, seien ein Gewinn, um die Logopädie verständlicher zu machen und voranzutreiben. Zudem verdanke ihm die Hochschule mit London und Halle wichtige Partnerschaften, so Steff Aellig.
Von Hollywood nach Zürich nach Europa und zurück
Analog dem Film «Time Machine» nahm Jürgen Steiner seine Gäste auf eine Zeitreise. «Sprunghaft, aber längst nicht so dramatisch wie der Film, werde seine Abschiedsvorlesung werden», meinte er. Durch einen biografischen Einblick erfuhren die Gäste, dass Jürgen Steiner seit Beginn seiner Laufbahn mit der Sprache verbunden ist. Begonnen als Fernmeldevermittler, über Jahre der freien Praxis sowie als leitender Sprachtherapeut an einer Memory-Klinik im Schwarzwald, führte ihn sein Weg an die HfH. Nach dem Grundprinzip «Die eigene Schaffenskraft entfaltet sich unter den Aspekten der Freiheit, Schutz vor Störungen und gemeinsam gefeierten Erfolge» seiner langjährigen Vorgesetzten Prof. Susanne Amft, begann Jürgen Steiner 2005 «als ein Deutscher nicht nur in der Schweiz, sondern für die Schweiz zu arbeiten».
In seiner Abschiedsvorlesung blickte er dementsprechend auch über die Landesgrenze und führte auf, was die Schweiz in der Logopädie im Kinderbereich nach Europa tragen kann:
- Hierzulande ist die Logopädie dem Bildungs- und nicht dem Gesundheitssystem zugeordnet. Daraus ergeht ein Auftrag, der viele Vorteile mit sich bringt.
- Die Kultur des runden Tisches und der Transparenz bezieht Kinder, Eltern, Lehrer und therapeutisches Personal gleichwohl mit ein.
- Die Logopädie gehört selbstverständlich in die Schule, da die Sprachentwicklung auch die Entwicklung der Schriftsprache bedeutet und sich Sprachentwicklungsstörungen folglich als Störungen im Erwerb der Schriftsprache zeigen.
Andersrum dürfte die Schweiz den Ansatz der routinemässigen Gehörsabklärung durch Ärzt:innen genauso als unverzichtbar verstehen, wie dies im benachbarten Raum gegeben ist. Auch dem Risikofaktor «Late Talker» müsste man sich hier früher annehmen.
Sprachfähigkeit und klinische Logopädie
Die Logopädie fördert die Sprachlichkeit. Aber welche? Die Vielfalt der deutschen Sprache und des alemannischen Dialektes ist immens. Ein klares Verständnis der Sprachunterteilung ist daher bedeutend. Nach Jürgen Steiner sind Familien-, Umgebungs-, und Bildungssprache drei unabhängige Sprachen. Schweizerdeutsch ist in seiner Auffassung keine Sprachvariante und entsprechend nicht mühelos zu erlernen.
Auch in seinem weiteren Wirkungsfeld, der klinischen Logopädie, verdeutlichte und prägte er die Wichtigkeit von Begrifflichkeiten. Nach ihm sollte das Wording «Der/die Demente» durch «Menschen, die eine Demenz zu managen haben» ersetzt werden. Diese Formulierung ist positiv und verbleibt nicht beim Primärbetroffen, sondern bezieht das Umfeld ein.
Preiswürdige Therapieansätze
Im Weiteren seiner Abschiedsvorlesung würdigte Jürgen Steiner zwei Therapieansätze: Das Modell «Handlungsorientierte Therapie» (kurz: HOT-Therapie) in der Kindertherapie von Reddemann-Tschaikner und jenen von Ray Wilkinson; «SPPARC» (Supporting Partners of People with Aphasia in Relationships and Conversation) in der Aphasietherapie. Beide Modelle sind interindividuell und kontextuell und heben sich deutlich von individuellen Modellen ab. «Wir brauchen Modelle, die erklären, wie Kooperationen funktionieren und wie Partner-Dialoge durch Strategien gesteuert werden können. Die HOT-Therapie bringt Sprachangebot und Sprachlernen mit dem Handeln zwischen der Welt im Austausch mit einem Du zusammen. Und das Modell von Wilkinson bringt die Kooperation im Dialog auf den Punkt.» Jürgen Steiner rundete diesen Exkurs seiner Zeitreise mit der Überzeugung ab, dass diese Ansätze in wenigen Jahren, nebst anderen Lösungen, Standard sein werden.
Visionen für die Logopädie und persönlicher Ausblick
Mit einer Vision für die Logopädie und einem persönlichen Ein- und Ausblick schloss Jürgen Steiner seine Abschiedsvorlesung. Er hielt fest, dass mehr Beratung notwendig ist – für Betroffene, für Mitbetroffene und für Teams. Die Frage «Wie Menschen lernen» muss beantwortet werden und mehr systemische Sichtweise ist nötig. Er sprach sich für mehr Empowerment, Blick auf die Pragmatik, Dialekt-Diskussionen, multikulturelle Aspekte und Ideentransfer in Europa und ausserhalb Europas aus und wünschte sich nicht zuletzt die Umsetzung von Liegengebliebenen: Eine griffige Einführung in die Logopädie und die Geschichte der Logopädie im deutschsprachigen Raum.
Bevor Jürgen Steiner die Gäste zum Apéro einlud, richtete er seinen Dank an die Rektorin Barbara Fäh. Als Betroffener zweier mittelschwerer Schlaganfälle im Dezember 2020 wertschätzte er die Unterstützung, die ihm die Rektorin entgegenbrachte, sehr. Durch diese war es ihm möglich, geplante Werke fertigzustellen.
Prof. Dr. Barbara Fäh mit Prof. Dr. Jürgen Steiner
Seine Reise wird Jürgen Steiner mit gekanntem Engagement für die Logopädie weiterführen. In Zukunft dürfen Aphasie Swiss, Alzheimer Schweiz, Schulz Kirchner, die Schule Wiesendangen und die HfH in kleinem Pensum auf seine Expertise zählen. Auch wird er weiter als Autor wirken und mit Beiträgen, wie in der kommenden Ausgabe des Fachblattes Motorik, die Fachwelt bereichern.
Die Abschiedsvorlesung fand am 14. Juni 2022 statt. Wer gerne die Power-Point-Präsentation erhalten möchte, kann sich bei der Hochschulkommunikation (kommunikation [at] hfh.ch) melden.
Autorin: Tabea Ruf, Hochschulkommunikation, HfH