UNIFIED-GR: Pilotprojekt zur sozialen Partizipation im Sportprogramm UNIFIED

Kategorie Projekt

Ausgangslage und Ziele

Das Programm UNIFIED von Special Olympics Switzerland (SOSWI) ermöglicht Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit kognitiver Beeinträchtigung in bestehenden Sportclubs in ihrer näheren Umgebung Sport zu treiben sowie an Breitensportevents und Wettkämpfen teilzunehmen. Damit fördert UNIFIED nicht nur das Wohlbefinden und die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung, sondern bietet zudem grosses Potenzial, alle Beteiligten für eine «Gemeinschaft für alle» zu sensibilisieren.

Projektleitung

Simone Schaub Titel Dr. phil.

Funktion

Senior Researcher

Zurbriggen Carmen

Carmen L. A. Zurbriggen Titel Prof. Dr.

Funktion

Departement für Sonderpädagogik, Universität Fribourg

Fakten

  • Dauer
    10.2020
    12.2023
  • Projektnummer
    3_29

Projektteam

Ausgangslage

Partizipation an frei gewählten Freizeitaktivitäten ist sowohl Grundrecht als auch Entwicklungsnotwendigkeit für alle Kinder und Jugendlichen. Denn das gemeinsame Sporttreiben beeinflusst die Selbstbestimmung und das emotionale Wohlbefinden positiv (Eime, Young, Harvey, Charity, & Payne, 2013). Allerdings ist der Zugang zu sportlichen Vereinsaktivitäten für Menschen mit Beeinträchtigung stark eingeschränkt. Partizipation wird nicht als reine Anwesenheit (Attendance) verstanden. Vielmehr wird die ebenso zentrale Sicht der Betroffenen selbst und deren subjektives Erleben von Zugehörigkeit zur Gemeinschaft untersucht (Involvement; Imms, Adair, Keen, Ullenhag, Rosenbaum, & Granlund, 2016).
Bislang fehlt es an Befragungsmethoden und -instrumenten zur Erfassung des eigenen Erlebens. Und der subjektiven Sicht von Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung. UNIFIED-GR ist ein Pilotprojekt, in welchem die Wirkungen der Teilnahme an sportlichen Vereinsaktivitäten beispielhaft im Kanton Graubünden untersucht wurden. Der Kanton Graubünden ist prädestiniert für das Pilotprojekt, weil dort das Sportprogramm UNIFIED im Jahr 2016 erstmalig kantonal abgestützt und umgesetzt wurde, und inzwischen rund 100 Personen mit Beeinträchtigung in 18 Vereinen aktiv involviert sind.

Fragestellung

Um zu untersuchen, ob die Teilnahme am Programm UNIFIED kurz- und mittelfristige positive Auswirkungen auf das emotionale Erleben und die soziale Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung hat, wurden die folgenden drei inhaltlichen Fragestellungen untersucht:

  1. Wie ist die soziale Partizipation der Kinder und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung in den UNIFIED-Sportclubs aus Selbstsicht und Fremdsicht (Eltern / Erziehungsberechtigte, Trainer:innen, Lehrpersonen)?
  2. Zeigen sich interindividuelle Unterschiede im emotionalen Erleben bei den Kindern und Jugendlichen in ihrem Alltag über einen Zeitraum von acht Wochen?
  3. Welchen Effekt hat das UNIFIED-Training auf das emotionale Erleben der Kinder und Jugendlichen im Vergleich zu anderen Alltagssituationen (Schule, Familie)?

Das zweite zentrale Ziel des Pilotprojekts war die Entwicklung und Überprüfung der Erhebungsinstrumente. Deshalb wurde zusätzlich folgende methodisch ausgerichtete Fragestellung adressiert:

  1. Wie lässt sich das emotionale Erleben bei Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung zwischen 6 und 16 Jahren (unterschiedliche Kommunikationsformen, Grad der kognitiven Beeinträchtigung) mittels der Experience Sampling Method (ESM) erfassen?

Methodisches Vorgehen

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit kognitiver Beeinträchtigung am Programm UNIFIED wird anhand von Einzelfallstudien aus mehreren Perspektiven erfasst. Im Zentrum steht das subjektive Erleben der Sport treibenden Kindern und Jugendlichen. Derzeit trainieren rund 100 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren in Vereinen verschiedener Sportarten (z.B. Fussball, Unihockey, Ski Alpin). Davon werden 12 aus verschiedenen Winter- und Sommersportarten über mehrere Wochen in ihrem Alltag begleitet und sie erfassen selbst ihr aktuelles Befinden (Schallberger, 2005; Schreiber & Jenny, 2020) mit der ESM (Hektner, Schmidt & Csikszentmihalyi, 2007). Bei dieser Methode steht nicht die Frage «wie geht es dir im Allgemeinen», sondern die Frage «wie geht es dir in diesem Moment» im Zentrum. Diese Unmittelbarkeit birgt gerade für Kinder und Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung Vorteile, da die Einschätzungen nicht aus dem Gedächtnis abgerufen werden müssen (Venetz & Zurbriggen, 2015; 2016).

Ergebnisse

Insgesamt wurden von den 10 teilnehmenden Kindern und Jugendlichen 332 Antworten zum aktuellen emotionalen Erleben gesammelt. Verglichen mit dem durchschnittlichen Erleben im Alltag wurden UNIFIED Trainings und Schulsport von den Teilnehmer:innen besonders positiv erlebt. Zudem führte die Anwesenheit von Peers zu einem gesteigerten emotionalen Befinden. Neben diesen intraindividuellen Unterschieden zwischen Situationen zeigten sich auch erste interindividuelle Unterschiede im Erleben zwischen den Kindern und Jugendlichen. Dabei stimmen die Selbsteinschätzungen des emotionalen Erlebens nur teilweise mit den Fremdeinschätzungen durch Eltern, Trainer:innen und Lehrpersonen überein, was die Wichtigkeit von Selbstberichten unterstreicht.

Diskussion

Trotz der kleinen Stichprobengrösse zeigen die Ergebnisse, dass das ESM, wenn es durch digitale, visuelle und auditive Hilfsmittel ergänzt wird, eine praktikable und effektive Methode zur Erfassung von Selbstberichten von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ist. Die Pilotstudie liefert somit wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung von Erhebungsmethoden und verdeutlicht, dass inklusiver Vereinssport positive Auswirkungen auf die soziale Teilhabe und das emotionale Wohlbefinden der Teilnehmenden haben kann.

Literatur

  • Eime, R. M., Young, J. A., Harvey, J. T., Charity, M. J., & Payne, W. R. (2013). A systematic review of the psychological and social benefits of participation in sport for children and adolescents: Informing development of a conceptual model of health through sport. The International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity, 10(1), 1098. https://doi.org/10.1186/1479-5868-10-98
  • Hektner, J. M., Schmidt, J. A. & Csikszentmihalyi, M. (2007). Experience sampling method. Measuring the quality of everyday life. Thousand Oaks: SAGE Publications. https://doi.org/10.4135/9781412984201.n10
  • Imms, C., Adair, B., Keen, D., Ullenhag, A., Rosenbaum, P., & Granlund, M. (2016). 'Participation': A systematic review of language, definitions, and constructs used in intervention research with children with disabilities. Developmental Medicine & Child Neurology, 58(1), 29–38. https://doi.org/10.1111/dmcn.12932
  • Schallberger, U. (2005). Kurzskala zur Erfassung der Positiven Aktivierung, Negativen Aktivierung und Valenz in Experience Sampling Studien (PANAVA-KS). Psychologisches Institut der Universität Zürich. Verfügbar unter: https://www.psychologie.uzh.ch/dam/jcr:00000000-4a5f-c2e5-0000-000006e4f6b9/PANAVA_05.pdf
  • Schreiber, M., & Jenny, G. J. (2020). Development and validation of the «Lebender emoticon PANAVA» scale (LE-PANAVA) for digitally measuring positive and negative activation, and valence via emoticons. Personality and Individual Differences, 160, 109923. https://doi.org/10.1016/j.paid.2020.109923
  • Venetz, M., & Zurbriggen, C. (2015). Intensive Longitudinal Methods – ihre Eignung für die sonderpädagogische Forschung und exemplarische Anwendungsmöglichkeiten. Empirische Sonderpädagogik, 3, 194–205. https://doi.org/10.25656/01:11381
  • Venetz, M., & Zurbriggen, C. (2016). Intensity Bias oder Rosy View? Zur Diskrepanz habituell und aktuell berichtetem emotionalen Erleben im Unterricht. Empirische Pädagogik, 30(1), 27–42.

Publikationen

  • Audeoud, M., Lütolf, M., & Schaub, S.
    Soziale Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Sportprogramm UNIFIED.
    Forschungskolloquium, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik (HfH),
    Zürich, Schweiz.
  • Zurbriggen, C. L. A., Schaub, S., Audeoud, M., & Lütolf, M.
    Partizipation im Sportprogramm UNIFIED
    [Konferenzvortrag].
    Schweizer Kongress für Heilpädagogik,
    Fribourg, Schweiz.
  • Zurbriggen, C. L. A., Schaub, S., Audeoud, M., Lütolf, M., Stöcker, A., & Arn, C.
    Social participation of children and adolescents with intellectual disabilities in sport clubs
    [Konferenzvortrag].
    20th Biennial EARLI Conference,
    Thessaloniki, Greece.
  • Schaub, S., Audeoud, M., Lütolf, M., Stöcker, A., & Zurbriggen, C. L. A.
    Using the experience sampling method in the context of intellectual disability
    [Konferenzvortrag].
    EARLI SIG 15 Conference,
    Valencia, Spain.