Schule integriert … starke multiprofessionelle Teams
Tagungsrückblick
Eine gute multiprofessionelle Zusammenarbeit ist wichtig, um Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf erfolgreich in Regelklassen unterrichten zu können. Dabei sind allerdings mehrere Hürden zu überwinden.
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Dragan hat ohne Zweifel einen besonderen Förderbedarf. Er wuchs in einem kriegsbelasteten Land auf, hat erhebliche Probleme mit der deutschen Sprache, lässt sich leicht ablenken, ist häufig impulsiv, zeigt mangelhafte Leistungen in den schulischen Kernfächern und interessiert sich alles in allem kaum für die Inhalte des Unterrichts. Was kann die Schule als Ganzes tun, um Kinder wie Dragan erfolgreich zu integrieren und zu fördern? Klar ist: Das kann nicht die Aufgabe einer einzelnen Person sein, sondern daran sind verschiedene Expertinnen und Experten beteiligt. Heilpädagogische Fachkräfte, Lehrpersonen, Fachpersonen aus der Schulsozialarbeit und Schulpsychologie, externe Beratungspersonen. Unklar ist: Wie sollen diese multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten, damit Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf angemessen gefördert werden können? Damit beschäftigte sich die Tagung «Schule integriert … starke multiprofessionelle Teams» vom 4. Dezember 2020 an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, welche von Brigitte Gardin-Baumann und Daniel Hofstetter geleitet wurde.
«Zentral ist die Schulentwicklungskapazität einer Schule», sagt Katharina Maag-Merki, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Schulentwicklungskapazität beinhaltet insbesondere die Fähigkeit einer Schule, auf Herausforderungen kompetent reagieren zu können. Dies gelinge nur mit multiprofessionellen Teams, in denen die Beteiligten wirklich kooperieren würden. «Es braucht eine Verbindung zwischen allen Fachpersonen», sagt Maag-Merki. Wer sich mit wem wie oft austauscht, untersuchen Maag-Merki und ihr Team mit sozialen Netzwerkanalysen im Rahmen der SIC-Studie (School Improvement Capacity for Academic Learning), einer Längsschnittstudie in 100 Primarschulen der Deutschschweiz, die derzeit ausgewertet wird. Die Bedeutung heilpädagogischer Fachpersonen streicht sie jetzt schon hervor: «In vielen Schulen haben Schulische Heilpädagoginnen eine wichtige Position, weil sie eine «Broker-Funktion» haben: Sie bringen Personen zusammen, die sich sonst wenig miteinander austauschen würden», so Maag-Merki.
Wichtig ist aber nicht nur, dass die Fachpersonen in den interdisziplinären Teams zusammenarbeiten, sondern auch, wie sie es tun. «Eine der entscheidenden Fragen lautet: Wie kommen die Erkenntnisse bis zu den Kindern?», sagt David Labhart vom Institut Unterstrass an der PHZH. Er analysierte Fallbesprechungen in interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen an integrativen Schulen und stellte fest, dass verschiedene Hürden überwunden werden müssen. «Häufig findet eine Entlastung über Delegation statt», meint Labhart. Im Falle von Dragan, unserem Fallbeispiel, wäre eine solche Delegation zum Beispiel die Zuweisung in eine integrierte Sonderschulung (ISR). Um dies zu vermeiden, müssten sich die Beteiligten öffnen und mit der Bereitschaft in den Austausch gehen, ihr eigenes Wissen kritisch zu hinterfragen und zu erweitern – eine weitere Hürde. Ziel sei schliesslich die bestmögliche Förderung des Kindes: «Es geht nicht um Etikettierungen und auch nicht in erster Linie um Massnahmen, sondern darum, das Kind besser zu verstehen», sagt Labhart. Als interdisziplinäres Team solle man den Fokus deshalb zum Beispiel auf die Reflexion des Lernsettings richten oder darauf, den Verlauf stimmig zu dokumentieren.
Dies gelingt aber nur, wenn das interdisziplinäre Team sich nicht als Ansammlung von Einzelkämpfern, sondern wirklich als homogenes Team versteht. «Die erste Suchbewegung in Schulen ist immer, ein Gefäss zu schaffen», sagt Patrik Widmer-Wolf von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Das Gefäss allein bringe aber noch nichts. Vielmehr sei es entscheidend, der Tiefenstruktur in solchen Teams Aufmerksamkeit zu schenken: dem respektvollen Umgang miteinander, dem gegenseitigen Vertrauen, der Akzeptanz. «Wenn die Chemie nicht stimmt, dann geht gar nichts», so Widmer-Wolf.
«Für unsere Schule sind interdisziplinäre Team sehr wertvoll», sagt Agnes Hunziker, Teilnehmerin an der Tagung und Schulleiterin an der Schule Sihlfeld in Zürich. Dort trifft sich dieses Team sechs Mal im Jahr. «Ein grosser Gewinn besteht darin, dass verschiedene Informationen der Fachpersonen zusammenkommen, diese ihr Wissen einbringen und so das Bild von diesem Kind vollständiger wird», so die Schulleiterin. Dies bedinge natürlich, dass sich alle Anwesenden auch ausgewogen beteiligen können. Ziel sei, dass alle auf dem gleichen Stand seien und auf der Basis dieses gemeinsamen Wissens die nächsten Schritte diskutieren könnten. So könnten auch einige der erwähnten Hürden umgangen werden. «Die Gefahr des Delegierens kennen wir natürlich», räumt Hunziker ein. Gerade deshalb sei es umso wichtiger, die Tragfähigkeit der ganzen Schule zu stärken – in dem man die Belastung möglichst gleichmässig verteilt.
Auf der Suche nach den Faktoren, welche eine Schule tragfähig machen, hat Daniel Barth von der HfH zusammen mit Reto Luder und André Kunz, beides Professoren an der PHZH, mehr als zehn Schulteams im Kanton Aargau untersucht. Sie haben herausgefunden: Wichtig für eine gelingende Kooperation kann auch der informelle Austausch von Lehr- und Fachpersonen über die Kinder und Jugendlichen sein. Im Gespräch mit Steff Aellig erzählt Daniel Barth von einer Schule mit einer hohen Tragfähigkeit, welche sich durch ein «wertschätzendes Plaudern» über schwierige Schüler auszeichnet.
Die Online-Tagung «Schule integriert ... starke multiprofessionelle Teams» fand am 4. Dezember 2020 statt. Sie wurde geleitet von lic. phil. Brigitte Gardin-Baumann (HfH) und Prof. Dr. Daniel Hofstetter (HfH) und war ein Anlass des Instituts für Professionalisierung und Systementwicklung.
Autoren: Dr. Dominik Gyseler und Dr. Steff Aellig, Wissenschaftskommunikation HfH
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