Fördern, nicht nur beschäftigen
Reportage
Im Kanton Thurgau werden die Sonderschulen regelmässig extern evaluiert. Die HfH unterstützt dabei die Fachleute vor Ort – und passt das Vorgehen jeweils auf die lokale Situation an.
Seit 2008 sind die Kantone vollumfänglich selbst verantwortlich für ihre Sonderschulen. Vorher war es die Invalidenversicherung (IV), welche dieses Angebot finanzierte und steuerte. Heute müssen die Kantone auch festlegen, welche Qualität ihre Schulen aufweisen sollen, und wie diese überprüft wird. Das wird in jedem Kanton etwas anders umgesetzt.
Was heisst Qualität?
Wie sieht das im Kanton Thurgau aus, wo der Kanton für rund zwölf Sonder- und Spitalschulen zuständig ist? «Wir haben in Zusammenarbeit mit der HfH so genannte «Qualitätsstandards» aufgestellt.», erklärt Robert Schroeder, Leiter der Abteilung Schulqualität und Sonderpädagogik im Amt für Volksschule Thurgau, «Diese Standards sind öffentlich und bedeuten für die Sonderschulen: Daran werdet ihr gemessen.»
Für den Bereich Unterricht sagt es Robert Schoeder deutlich: «Wir wollen eine Förderung sehen, nicht nur eine Beschäftigung!» Und diese Förderung muss für jedes einzelne Kind individuell geplant und koordiniert werden. Das ist der Unterschied zu den Regelschulen. «Bei Sonderschulen haben wir in diesem Bereich einen Anspruch, der tiefer geht», so Schroeder.
In einem anderen Standard wird gefordert, dass die unterschiedlichen Professionen koordiniert zusammenarbeiten. «Hohe Qualität erreicht die Förderung an einer Sonderschule nur durch Interdisziplinarität», ist Belinda Mettauer Szaday überzeugt. Sie verfügt über langjährige Evaluationserfahrung und hat als HfH-Beraterin an diesen Qualitätsstandards mitgearbeitet.
Externe Evaluationen: Die Entwicklung anstossen
Um zu überprüfen, inwieweit die aufgestellten Standards auch umgesetzt werden, führt der Kanton Thurgau in allen Sonderschulen externe Evaluationen durch. Konkret bedeutet das: Ein Team aus drei Evaluatorinnen und Evaluatoren besucht die Schule während zweier Tage. Man beobachtet den Unterricht, die Therapie, die Pausen sowie auch die Betreuung der Kinder und Jugendlichen – etwa beim Mittagessen oder am Abend in der Wohngruppe. Man führt Interviews mit möglichst vielen verschiedenen Leuten. Nicht nur mit Lehr- und Fachpersonen, sondern auch mit dem Hauswart, der Köchin und natürlich mit Eltern sowie mit Schülerinnen und Schülern. Im Vorfeld dieser Evaluationstage findet jeweils eine schriftliche Befragung sowie eine umfangreiche Aktenanalyse statt. Daraus ergibt sich zum Schluss ein Gesamtbild, das der Schule und den Verantwortlichen vom Kanton zurückgespiegelt wird.
«Hauptziel ist es, die Schulen in ihrer eigenen Entwicklung anzustossen», erklärt Belinda Mettauer Szaday. Und genau deshalb ist im Evaluationsteam auch eine Person vom kantonalen Inspektorat mit dabei. «Vom Kanton her haben wir ein grosses Interesse, dass die Schule die Entwicklungshinweise aus der Evaluation auch tatsächlich aufnimmt und nachhaltig umsetzt», sagt Robert Schroeder zum Vorgehen, das sich aus seiner Sicht sehr bewährt hat. Dabei spiele die menschliche Komponente eine entscheidende Rolle: «Evaluieren braucht ein hohes Mass an Verständnis und Empathie. Und gleichzeitig eine Klarheit, auch die unangenehmen Dinge auf den Punkt zu bringen. Eine rein quantitative Befragung reicht nie für ein Gesamtbild.», so Schroeder «Es zählt die Begegnung – und die ist immer menschenabhängig.»
Wie Evaluationen in Zukunft aussehen könnten, und warum darin Unterrichtsbesuche immer noch ihren Platz haben, erläutern Belinda Mettauer Szaday und Robert Schroeder im nachfolgenden Video-Interview, geführt von Steff Aellig.
Video-Interview mit Belinda Mettauer Szaday und Robert Schroeder
Video-Abspann in Textform
Evaluation von Sonderschulen: So geht's!
Gesprächsgäste
- Belinda Mettauer Szaday, Dr., Institut für Professionalisierung und Systementwicklung (IPSE) HfH Zürich, Senior Consultant Schwerpunkt Beratungen und Evaluationen
- Robert Schroeder, Amt für Volksschule Thurgau, Abteilungsleiter Schulqualität und Leiter Sonderpädagogik
Gesprächsführung: Steff Aellig, Dr., HfH Wissenschaftskommunikation
Konzeption und Regie: Steff Aellig, Dr. und Dominik Gyseler, Dr., HfH Wissenschaftskommunikation
Technik und Produktion: Beni Schafheitle, www.pixair.ch
Autoren: Dr. Steff Aellig und Dr. Dominik Gyseler, HfH-Wissenschaftskommunikation
Dokumente
- Dienstleistungen als Brücke zwischen Hochschule und Praxis
Von Belinda Mettauer Szaday, erschienen im «heilpädagogik aktuell» Nr. 27, Sommer 2019.
Links
- Qualität sichern und weiterentwickeln
Institut für Professionalisierung und Systementwicklung
- Qualitätsstandards für die externe Evaluation von Sonder- und Spitalschulen im Kanton Thurgau
(PDF)