Teilhabe im Kontext kognitiver Beeinträchtigung

Kategorie Institutsthema

Wie können im Unterricht Barrieren reduziert und Teilhabe für alle ermöglicht werden? Am Institut für Behinderung und Partizipation werden Modelle und Umsetzungsideen entwickelt und erprobt.

Kind mit einer sichtbaren kognitiven Beeinträchtigung (Trisomie 21)  in einer Gruppe von Kindern und einer erwachsenen Frau im Freien

Kontakt

Cornelia Müller Bösch Titel Prof.

Funktion

Professorin für Bildung bei kognitiver Beeinträchtigung

Barbara Michel Titel lic. phil.

Funktion

Senior Lecturer

Der Abbau von Barrieren und die Ermöglichung von Teilhabe ist ein zentrales Anliegen der Schulischen Heilpädagogik. Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen sollen selbstbestimmt an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben dürfen. Auch und gerade im Kontext von kognitiver Beeinträchtigung sind die realen Teilhabemöglichkeiten ein wichtiger Indikator für eine inklusive Praxis. Dies war auch das Thema der Antrittsvorlesung von Cornelia Müller Bösch mit dem Titel «Barrieren abbauen, um Teilhabe zu fördern».

Teilhabe im inklusiven Unterricht

Inklusive Didaktik verfolgt das Ziel, gemeinsames Lernen für alle zu ermöglichen. Die diesbezüglichen Barrieren gilt es zu minimieren. Schulische Heilpädagog:innen gestalten vielfältige Lernumgebung so, dass das Lernen in Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand für Schüler:innen mit Beeinträchtigung und Begabungen unterstützt wird.

  • Im Pflichtmodul «Inklusive Didaktik unter heilpädagogischer Perspektive. Lernen und Partizipation in Sprache und Mathematik» wird in die Gestaltung vielfältiger Lernumgebungen für einen inklusiven Unterricht in einem «Universal Design for Learning» (UDL, Cast, 2011)  eingeführt. Dies geschieht am Beispiel des mathematischen und sprachlichen Lernens. Die Studierende adaptieren ausgehend von einer Kernidee eine Lernaufgabe für das Lernen in einem universellen Design in der Lerngruppe vom WIR-ICH-DU-WIR (Müller Bösch, 2011, Müller Bösch & Schaffner Menn, 2021, in Anlehnung an Feuser, 2005, 2013). Das Pflichtmodul gehört als Grundlagenmodul zum CAS Einführung in die inklusive Didaktik: heil- und sonderpädagogische Fragestellungen (am Standort Zürich). 
  • Die inklusive Schule – die Schule für alle – nicht nur zu fordern, sondern Realität werden zu lassen, ist eine Herausforderung sowohl für Lehrkräfte als auch für Fachkräfte aus der Heilpädagogik. Wie gelingt die Umsetzung im Schulalltag? Wie kann moderner Unterricht für alle praktisch umgesetzt werden, und welches sonderpädagogische Fachwissen wird in einer inklusiven Schule gebraucht? Das Buch «Inklusive Pädagogik und Didaktik» (Herausgeber:innen: Reto Luder, André Kunz und Cornelia Müller Bösch) ist im Shop erhältlich.

In Anlehnung an die Definition der Deutschen Heilpädagogischen Gesellschaft (DHG, 2021), kann von einem mehrdimensionalen Begriff der Teilhabe ausgegangen werden:

  • Teil-Sein, als ungeteilte Zugehörigkeit zum «Ganzen», das heisst zu allen Lernenden in der inklusiven Schule
  • Teilhabe, als Einbeziehen in die befähigungsorientierte Förder- und Bildungsplanung (mehr dazu im Institutsthema «Umsetzung des Lehrplan 21 in Sonderschulen»)
  • Teilnahme, als aktiver Aspekt, sich in einer sozialen Gemeinschaft engagiert einzusetzen

Befähigungsorientierte Förder- und Bildungsplanung setzt voraus, dass wir die Lernenden daran teilhaben lassen und mit ihnen während der gesamten Schulzeit eine Befähigungsvision entwickeln, welche sie selbstbestimmt mitgestalten können. Im Unterricht sind Lerngespräche eine Möglichkeit, um gemeinsam an einer Reflexionskompetenz, an eigenen Gestaltungen von Zukunftsvisionen zu arbeiten und Teilhabe zu ermöglichen.

Netzwerktreffen Inklusive Bildung an der Hochschule im Herbst 2022

Lebenslanges Lernen

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Schweiz zur Gewährleistung eines inklusiven Bildungssystems und lebenslangen Lernens für Menschen mit Behinderungen. Jedoch stehen Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in der Schweiz vor begrenzten Möglichkeiten im Bereich des lebenslangen Lernens. Es fehlen flächendeckende Bildungsangebote auf der Sekundarstufe II und im tertiären Bereich. Dadurch werden die Bildungschancen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eingeschränkt. 

  • Projekt stark3 (2021-2024). Hier setzt das Netzwerk inklusive Bildung an der Hochschule – stark3 an. Wir haben vier Jahre lang in Kooperation mit dem Institut Unterstrass der Pädagogischen Hochschule Zürich und unter Mitarbeit der Hochschule Luzern durch Judith Adler mit Vertreter:innen aus verschiedenen Hochschulen, Betroffenen und Vertreterinnen aus dem Arbeitsfeld diskutiert, warum (zum «Argumentarium») und wie (Zum Text in der SHZ, weitere Publikation folgt) Hochschulen sich für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen öffnen sollen. In verschiedenen Projekten haben die Netzwerkteilnehmer:innen gezeigt, wie dies umsetzbar ist (z. B. Projekt écolsiv, Segel, Kreativwerkstatt). Im Rahmen des vom swissuniversities im P-7 Programm «Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit in der Hochschulentwicklung 2021 – 2024»geförderten Projekts findet das Netzwerktreffen 2024 zum Thema «Neue Wege inklusiver Bildung an Hochschulen» statt. Das Treffen dient dazu, die Ergebnisse der vierjährigen Projektarbeit vorzustellen und in einem Podiumsgespräch mit Entscheidungsträger:innen aus Politik, Hochschulen und dem Arbeitsfeld zu diskutieren. Zur Veranstaltung
  • Masterarbeiten im Projekt écolsiv (seit 2019). Am Institut für Behinderung und Partizipation arbeiten Studierende an Masterarbeiten, die sich mit Entwicklungs- und Forschungsthemen im Projekt écolsiv befassen. Diese Arbeiten werden in Zusammenarbeit mit dem Institut Unterstrass, speziell mit Cornelia Maccabiani und Matthias Gubler, durchgeführt. Das gemeinsame Projekt zielt darauf ab, die Qualität des Projekts écolsiv weiterzuentwickeln und zu verbessern. 
  • Projekt Lebensgeschichten (2022-2027). In der partizipativen Forschungsstudie erarbeiten Forschende (Masterstudierende, Schreiberinnen) in einem dialogischen Prozess des «Erzählens», «Verschriftlichens» und «Validierens» (Zahnd et al. 2015, S. 98) gemeinsam mit Ko-Forschenden (Erzählerinnen der Lebensgeschichte, Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung) Lebensgeschichten in leichter Sprache. Das methodische Vorgehen orientiert sich an den Forschungen von Hedderich, Egloff und Zahnd aus dem Jahr 2015. Das Ziel ist es, Erfahrungen bezüglich Selektion, Ablehnung, Inklusion und Potentialentfaltung aus der Perspektive der Betroffenen mit sogenannten kognitiven Beeinträchtigungen zu erfassen und sichtbar zu machen. 

Literaturverzeichnis

  • Center for Applied Special Technology [CAST] (2011). Universal Design for Learning Guidelines version 2.0. [Zugriff am 26.05.2021].
  • Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft (DHG); mit einem Vorwort von Prof. Dr. Iris Beck; mit Beiträgen von Carmen Badura [und 11 weiteren] (2021). Standards zur Teilhabe von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung und komplexem Unterstützungsbedarf. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.
  • Doose, St. (2011). «I want my dream!» Persönliche Zukunftsplanung. Neue Perspektiven und Methoden einer individuellen Hilfeplanung mit Menschen mit Behinderungen, 9. überarbeitete und erweiterte Neuauflage 2011, erschienen beim Netzwerk People First Deutschland e.V., Kassel / ISBN 978-3-937945-09-5.
  • Feuser, G. (2005). Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung (2. Auflage). Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
  • Feuser, G. (2013). Die «Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand» – ein Entwicklung induzierendes Lernen. In Feuser, G. & Kutscher, J. (Hrsg.), Entwicklung und Lernen (S. 282–293). Kohlhammer.
  • Hedderich, I., Egloff, B. & Zahnd, R. (Hrsg.). (2015). Biografie - Partizipation - Behinderung: theoretische Grundlagen und eine partizipative Forschungsstudie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
  • Labhart, D., Müller Bösch, C., & Gubler, M. (2022). Die Hochschule öffnen für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung: Ziele, Standards und Modelle. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 28 (1–2), 29–37.
  • Müller Bösch, C. (2011). Unterricht für alle als didaktische Herausforderung. Eine Annäherung an ein Konzept des Lernens in Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand durch Differenzierung ohne Ausgrenzung. Lizenziatsarbeit am Institut für Erziehungswissenschaften der Uni Zürich. Zentralbibliothek Zürich. 
  • Müller Bösch, C., & Schaffner Menn, A. (2021). Inklusiver Unterricht: Lernen in einem universellen Design am gemeinsamen Gegenstand. In A. Kunz, R. Luder, & C. Müller Bösch (Hrsg.), Inklusive Pädagogik und Didaktik (S. 93–119). hep verlag.
  • Müller Bösch, C.(2021). Das Projekt écolsiv leiten - Entwicklungsfelder inklusiver Bildung. In D. Labhart, C. Müller Bösch, & M. Gubler (Hrsg.), écolsiv - Schule inklusiv: Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung (SZH/CSPS, S. 67–84). SZH. Zum Shop
  • Müller Bösch, C., Gubler, M., & Labhart, D.(2021). Umsetzung inklusiver Hochschulprogramme: Erfahrungen aus dem Projekt écolsiv auf andere Hochschulen übertragen. In D. Labhart, C. Müller Bösch, & M. Gubler (Hrsg.), écolsiv - Schule inklusiv: Ein Hochschulprogramm inklusiver Bildung (SZH/CSPS, S. 183–193). SZH. Zum Shop
  • Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Abgeschlossen in New York am 13. Dezember 2006. Von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 2013. Beitrittsurkunde von der Schweiz hinterlegt am 15. April 2014. In Kraft getreten für die Schweiz am 15. Mai 2014.
  • Zahnd, R., Egloff, B. & Hedderich, I. (2015). Die partizipative Forschungsstudie «Lebensgeschichten». In I. Hedderich, B. Egloff & R. Zahnd (Hrsg.), Biografie - Partizipation - Behinderung: theoretische Grundlagen und eine partizipative Forschungsstudie (S. 97–105). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.