Vom HPS zur HfH – mit Pioniergeist und Weitsicht
100 Jahre HfH
Unter dem Motto «100 Jahre HfH – Bildung für Alle» feiert die HfH im Jahr 2024 ihr 100-jähriges Jubiläum. Viele Personen haben diese Hochschule geprägt und sich dafür eingesetzt, dass Bildung auch für die Schwächsten unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit ist. Mit vier Führungskräften blicken wir auf besondere Momente in der Entwicklung der HfH.
Abwehrreaktionen gegenüber Therapie. Sie habe zu Beginn zwischen Genf und Zürich gependelt und im Grunde zwei Leben geführt, erzählt Suzanne Naville ihrem ehemaligen Studenten Daniel Jucker. In den 1960er Jahren war Genf für Naville der Hauptwirkort. Dort hatte sie zusammen mit Fachleuten aus Medizin und Psychiatrie die Psychomotoriktherapie entwickelt und verbreitet. Anfang der 1970er Jahre zog Naville aus privaten Gründen nach Zürich – und brachte die Psychomotoriktherapie im Gepäck mit. Doch im heilpädagogischen Umfeld löste damals nur schon der Begriff «Therapie» Abwehrreaktionen aus. Deshalb etablierte sich Naville anfänglich im Kinderspital. Mit ihrer Persönlichkeit und Ausstrahlungskraft überzeugte sie jedoch den damaligen Rektor des HPS, Fritz Schneeberger, die Psychomotoriktherapie als eigenen Ausbildungsgang am HPS zu etablieren. Nicht ohne Wirbel und Widerstände, wie die Dozentin und spätere Abteilungsleiterin erzählt. Der ehemalige Dozent der HfH, Daniel Jucker, hat die Pionierin kurz nach ihrem 90. Geburtstag zum Gespräch getroffen.
Daniel Jucker im Gespräch mit Suzanne Naville: «Die Psychomotorik war eine Bereicherung für das HPS!»
Eigene starke Identität behalten. Es sei nicht immer klar gewesen, in welche Richtung sich das HPS entwickeln würde, erzählt Thomas Hagmann, der von 1989 bis 2001 Leiter des Heilpädagogischen Seminars war. Aber eines sei ihm damals wichtig gewesen: Die Eigenständigkeit zu behalten – insbesondere im Übergang vom Seminar zu einer Hochschule. Ende der Neunzigerjahre war das HPS ein Gebilde aus zahlreichen verstreuten und relativ autonomen Abteilungen an verschiedenen Örtlichkeiten der Stadt Zürich. «In jener Zeit wurden in vielen Kantonen die pädagogischen Hochschulen gegründet», erzählt Hagmann. «Da hätte es einerseits durchaus Sinn gemacht, die Heilpädagogik in die jeweiligen kantonalen PHs zu integrieren.» Auf der anderen Seite wäre damit die Gefahr gross gewesen, das spezifisch Heilpädagogische zu verlieren, einfach geschluckt zu werden. «Gerade die Ausbildung der therapeutischen Berufe war ein starkes Argument für eine eigenständige Hochschule, mit eigener und starker Identität – eben: die HfH», so Hagmann. 2001 verliess Hagmann die eben erst gegründete Hochschule, um sich einer neuen beruflichen Herausforderung zuzuwenden. Im Gespräch mit Dominik Gyseler von der Wissenschaftskommunikation sagt Hagmann über sein Führungsverständnis: «Mir war immer wichtig, dass wir es miteinander machen – und ich trotzdem der Chef war, der auch Position beziehen konnte.»
Dominik Gyseler im Gespräch mit Thomas Hagmann: «Das Wichtigste war für mich, etwas Sinnvolles zu machen – und zwar mit anderen zusammen!»
Gründungszeit war wie eine Sturmflut. Exzellenz in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungen: Das soll die noch junge Hochschule zu einem nationalen Kompetenzzentrum der Heilpädagogik machen. Es war das Verdienst des neuen Rektors Urs Strasser, dass dies gelingen konnte. Strasser war sehr gut vernetzt im heilpädagogischen Feld und genoss fachlich eine hohe Akzeptanz. Aus gesundheitlichen Gründen stand Urs Strasser, der die HfH von 2001 bis 2016 führte, nicht zur Verfügung für ein persönliches Gespräch. Jösy Steppacher war Abteilungsleiter am HPS und langjähriger Weggefährte von Urs Strasser. «Die Gründung der neuen Hochschule glich einer Sturmflut», erzählt der ehemalige Departementsleiter «Heilpädagogische Lehrberufe» über die jene Zeit. «Die bis dahin relativ autonomen Abteilungen des HPS – zum Beispiel Logopädie, Schulische Heilpädagogik oder Blindenpädagogik – wurden örtlich zusammengelegt und mussten plötzlich neue Formen von Kooperation finden. Das war ein ziemlicher Hosenlupf», so Steppacher. Neu galt es zudem, das spezifisch heilpädagogische Wissen an der Hochschule selber zu generieren: durch eigene Forschung. «Wir mussten alte Theorien auf den empirischen Prüfstand stellen und unsere Dozierenden fachlich auf den neusten Stand bringen. Das hat viel Interessantes in Bewegung gebracht», ist Steppacher überzeugt. Damals hätte er die HfH aus bildungspolitischen Gründen lieber als Teil der Pädagogischen Hochschule positioniert, erzählt der heute Pensionierte im Gespräch mit Steff Aellig von der Wissenschaftskommunikation. Heute sehe er jedoch auch die Vorteile der fachlichen und organisatorischen Eigenständigkeit.
Steff Aellig im Gespräch mit Jösy Steppacher: «Das heilpädagogische Handwerk muss erhalten bleiben!»
Kooperationen stärken die HfH. «Die Mitarbeitenden der HfH haben das heilpädagogische Denken und Handeln in ihrer DNA», sagt die amtierende Rektorin Barbara Fäh. «Zentrale Fragen der Heilpädagogik – etwa Autonomie und Partizipation – sind auch in der Zusammenarbeit hier an der HfH wichtige Werte. Das macht das Führen dieser Hochschule zu einer besonderen Herausforderung», ist Fäh überzeugt. Seit sie die Leitung 2016 von Urs Strasser übernommen hat, richtet sie die Hochschule konsequent inhaltlich aus. So hat sie die bisherige Struktur, die sich am vierfachen Leistungsauftrag orientierte, aufgebrochen und stattdessen fünf thematische Institute gegründet. «Wir müssen unser Fachwissen anhand einer thematischen Bündelung ins Feld bringen, und zwar unmittelbar dorthin, wo es gefragt wird», begründet Fäh diese Neuorganisation. Die Mission heisst «Bildung für Alle»; das bedeutet ein Engagement insbesondere für Menschen, die von Beeinträchtigung und Benachteiligung betroffen sind. Ziel ist es, diese Menschen zu einer bestmöglichen gesellschaftlichen Teilhabe zu führen. Für die Zukunft der HfH wünscht sie sich, dass dieser Fokus weiterhin im Zentrum steht. «Wir müssen das spezifisch heilpädagogische Fachwissen ausbauen, sichtbar machen und in die Praxis bringen», erzählt sie im Gespräch mit Steff Aellig von der Wissenschaftskommunikation. «Nur so können wir Antworten finden auf die drängenden Fragen unserer Gesellschaft. Das gelingt aber nur in Kooperation mit anderen Hochschulen», ist Fäh überzeugt.
Steff Aellig im Gespräch mit Barbara Fäh: «Bildung für Alle, das ist das Ziel!»
Autoren: Dr. Dominik Gyseler und Dr. Steff Aellig, Wissenschaftskommunikation HfH (Juni 2024)